Sozialverhalten der Pferde und Tierwohl
Während für die Tierarten Rind, Geflügel, Schwein, Schaf und Ziege seit 2013 der Leitfaden ‚Tierwohl‘ existiert, gab es bisher für die Pferdehaltung keine wissenschaftlich fundierte und praktikable Möglichkeit zur Bewertung. Auf dieser Grundlage haben Zeitler-Feicht und Baumgartner (2016) im Forschungsprojekt ‚Weihenstephaner Bewertungssystem für Pferdehaltungen‘ ein Bewertungssystem entwickelt, das auf den drei Grundanforderungen ‚Erfüllung der artgemäßen Verhaltensansprüche‘, ‚Guter Gesundheitsstatus‘ und ‚Nachhaltige Pferdehaltung‘ basiert. (Vgl. Zeitler-Feicht/ Baumgartner, 2017)
Tierwohlindikatoren
Nach Zeitler-Feicht und Baumgartner (2016) ist es herausfordernd für die Entwicklung eines Bewertungssystems Indikatoren zu finden, die das Wohlbefinden eines Pferdes sowie seinen körperlichen Zustand beschreiben. Valide, reliabel und praktikabel erfassbar zu sein ist die grundsätzliche Anforderung an Indikatoren. Ressourcenbezogene Indikatoren sind nach heutigem Wissenstand brauchbar, um den Einfluss der Haltungsbedingungen auf das Tierwohl zu bewerten. Allerdings sind tierbezogene Indikatoren aus den Bereichen des Verhaltens und der Gesundheit zu wählen, wenn man das aktuelle Wohlbefinden der Tiere ermitteln will. (Vgl. Zeitler-Feicht/ Baumgartner, 2016)
Affiliative Verhaltensweisen werden bei Pferden (als Tiere, die in sozialen Verbänden leben) als Indikator für Wohlbefinden angesehen und können dazu beitragen, eine positive Stimmung in ihnen zu bewirken. Im Forschungsprojekt wurde ermittelt, dass das soziopositive Verhalten ‚Zusammen sein‘ in der Pferdehaltung als Indikator für Wohlbefinden geeignet sein kann, wenn alle Modalitäten erfasst werden. Bspw. die Distanz in Abhängigkeit von der Aktivität sowie mögliche Ausschlusskriterien, wie Platzmangel und klimatische Einflüsse. (Vgl. Zeitler-Feicht/ Baumgartner, 2016) Die Freiwilligkeit ist Voraussetzung, um in der Haltung einen positiven emotionalen Status festzustellen. Bevor ‚Zusammen sein‘ als valider Indikator für Wohlbefinden in einem Bewertungssystem aufgenommen wird, sind allerdings noch weitere Untersuchungen notwendig, so das Forscherteam. (Vgl. Zeitler-Feicht/ Baumgartner, 2016 und 2017)
Horse Grimace Pain Scale (HGS)
Die ‚Horse Grimace Pain Scale‘ ist ein Verfahren, „mit dem sich die Veränderungen in der Mimik des Pferdes exakt quantifizieren lassen (Meyer, 2014; S. 327)“ so die Entwickler. Das internationale Forscherteam (Dalla Costa et al., 2015) betonte, dass es ohne großen Zeitaufwand leicht erlernbar und praktisch anwendbar sei und als ein vielversprechender valider und reliabler Indikator für das Wohlbefinden des Pferdes gilt.
Meyer betont, dass trotz einer präzisen und objektiven Feststellung der mimischen Veränderung eine allgemeingültige Aussage über die damit einhergehenden Befindlichkeiten nicht möglich ist, „[…] selbst dann nicht, wenn Pferde mit den ermittelten Verhaltensmodi regelmäßig auf Reize reagieren, die aus menschlicher Sicht Schmerzen auslösen (Meyer, 2014, S. 327).“
Nach Meyer (2014) würden verschiedene klassisch orientierte Horsemen bezweifeln, dass man ausschließlich an mimischen Details im Gesicht, bzw. des Kopfes weitgehendere Aussagen über die Befindlichkeiten machen kann, welche ansonsten durch eine Deutung des Gesamtausdrucks sowie der Deutung von Veränderungen des Erregungszustands und des gesamtkörperlichen Muskeltonus geschehen.
Bei diesem Zweifel wird berücksichtigt, dass sich bestimmte Veränderungen der Haltung, des Muskeltonus sowie des Ausmaßes der Erregung, wie zuvor erörtert, bei unterschiedlichen Modi der Befindlichkeit einstellen und die Identifikation einer bestimmten Befindlichkeit daher nur über die Deutung zusätzlicher Symptome zu erreichen ist. (Vgl. Zeitler-Feicht, 2015)
EquiFACS
Auch Wissenschaftler der University of Sussex haben Gesichtsausdrücke von Pferden untersucht und waren darüber überrascht, dass sie recht komplexe Gesichtsbewegungen zeigten. Auch, wenn sich die Gesichtsstruktur von Pferden und Menschen unterscheiden, ähneln dennoch viele Gesichtsbewegungen denen von Menschen. Die Forscher haben EquiFACS entwickelt, ein Coding System, welches Gesichtszüge klassifiziert und seinen Einsatz in der Tiermedizin finden soll.
Prof. Karen McComb von der Universität Essex erklärte, dass man früher dachte, dass eine Spezies, je weiter sie vom Menschen entfernt ist, auch weniger Ausdrucksmöglichkeiten des Gesichts hätte. Mit der Entwicklung von EquiFACS erkannten die Forscher, dass Pferde mit ihrem komplexen Sozialsystem auch über ein beachtliches Spektrum mimischer Ausdrucksmöglichkeiten verfügen. Viele davon haben sie mit dem Menschen und anderen Tieren gemeinsam.
Jüngere Studien, so die Forscher, haben deutlich gemacht, dass Pferde komplexe mimische Ausdrucksweisen besitzen und bestimmte Ausdrucksmerkmale mit Schmerz in Verbindung stehen (siehe auch HGS). Was fehlen würde sind Studien, die sich mit der Bandbreite von Informationen beschäftigen, die Pferde mit ihrer vielfältigen Mimik vermitteln können. Es gibt bisher keine Forschungsarbeiten, welche die Gesichtsausdrücke von Pferden im Zusammenhang mit positiven Erfahrungen oder Emotionen untersuchen, wobei dies eine wichtige, bisher wenig verstandene Sicht auf das Wohlbefinden von Pferden ist.
Der Gesichtsausdruck von Pferden kann mit EquiFACS in verschiedenen sozialen und emotionalen Situationen dokumentiert werden, wodurch man Einblick in die Betrachtungsweise der Tiere auf ihre soziale Umwelt, gewinnen kann. Die soll das uns Menschen helfen das Verhaltens, die Kommunikation und Psyche besser zu verstehen und uns kostbares Wissen liefern, sodass es möglich wird die medizinische Versorgung und Haltungsbedingungen zu optimieren.
In einem folgenden Schritt wollen die Wissenschaftler den Gesichtsausdrücken nun Gefühlszuständen zuordnen. (Vgl. Wathan, 2015)
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